Die Standseilbahn und Giovanni Pedrazzini, der Beginn einer Geschichte
1896 beantragten Francesco Muschietti, Giuseppe Varenna und Domenico Rigola eine Konzession für den Bau einer Standseilbahn, die zum Wallfahrtsort der Madonna del Sasso führen sollte.
Sie erhielten die Konzession im darauffolgenden Jahr und die Erneuerung 1900. Nachdem jedoch einer der Initiatoren verstorben und ein anderer ausgewandert waren, wurde das Ganze nicht weiterverfolgt, bis zum Zeitpunkt, als auf Initiative von Giovanni Pedrazzini ein neuer Vorstand (bestehend aus Domenico Rigola, dem einzigen Überlebenden der ursprünglichen drei Initiatoren, Luciano und Francesco Balli) gegründet und am 19. Juni 1903 die Standseilbahngesellschaft ins Leben gerufen wurde.
Nachdem die Konzession erneut erlangt wurde, begann die Vorbereitung der Projekte und die Arbeiten. Bei allen in jenen Jahren umgesetzten Werken, insbesondere der Standseilbahn, war Giovanni Pedrazzini aktiv beteiligt, wenn nicht sogar immer Initiator. Ein aufgeschlossener und ehrgeiziger Mann, der es nach dem Abschluss seines Studiums an italienischen Hochschulen bevorzugte, sich nicht ins politische Leben des Tessins zu stürzen, sondern Amerika zu entdecken. Dort erwies sich das Glück als sein Freund, denn nach dreißig Jahren Tätigkeit in seinen eigenen Silberbergwerken in Mexiko kehrte er im Alter von achtundvierzig Jahren nach Hause zurück. Er ist einer der wenigen Tessiner, die es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes geschafft hatten…
Er kehrte voller Tatendrang zurück, mit einem unternehmerischen Geist und beträchtlichen Mitteln. In der Geschichte der Entwicklung von Locarno ist er einer der bedeutendsten Namen. Als freundlicher und überlegener Mann gelang es ihm, politische Meinungsverschiedenheiten und Feindseligkeiten zu überwinden: Als die Banken 1913 zahlungsunfähig wurden, präsentierte er sich am Schalter der Schweiz-amerikanischen Bank (heute UBS Locarno), deren Präsident er war, und konnte so die besorgten Kunden beruhigen und das Unternehmen retten.
Mit Begeisterung und Tatkraft engagierte er sich für die Unternehmen in Locarno, von der Elektrizitätsgesellschaft bis zur Valmaggia-Bahn, von der Immobilienbranche bis zur Standseilbahn.
Er wohnte mit seiner Frau und seinen Kindern in einer Villa im neuen Stadtteil, die er „El Carmen“ taufte, auf den Namen eines der von ihm in Mexiko gegründeten Bergbauwerke. Sechs seiner Kinder sind in Mexiko, vier in Locarno geboren. Hier verbrachte er seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1922, im Alter von siebzig Jahren. Seine Bestattung war ein ausdruckskräftiger Beweis für seine wohlverdiente Popularität.
Das Bauprojekt der Standseilbahn wurde vom Ingenieur Giuseppe Martinoli aus dem Bleniotal ausgearbeitet; das bahntechnische Projekt vom Ingenieur Bosshard aus Zürich, der auch die Dolderbahn entwickelte. Nachdem die Projekte genehmigt wurden, übernahm die Firma Garavatti aus Varese die Arbeiten ohne weitere Verzögerungen. Der Abfahrtsbahnhof wurde hinter dem Haus des Ehepaares Rusca, genannt Lucomagno, errichtet, welches das unbefristete Durchgangsrecht erteilte. Seit damals hat sich, abgesehen von den zahlreichen technischen und praktischen Verbesserungen, nichts verändert.
Die 813-m-lange Route führt entlang der Ramogna, ein wenig nach rechts, ein wenig nach links und durch das Gebiet der drei Gemeinden Locarno, Muralto und Orselina. Der ganze Stolz der Route ist das Viadukt von elf sehr markanten Bögen, wo die Steigung das Maximum erreicht, nämlich 30 Prozent. Die geschätzten Ausgaben von 325’000 Franken beliefen sich nach der Fertigstellung auf 469’965 Franken.
Die Initiatoren beabsichtigten, die Entwicklung des Tourismus und des Bauwesens in der Region zu fördern, um die Schönheit der lokalen Hügel nicht nur bei Touristen besser bekannt und geschätzt zu machen.
Auf diese Weise wurde eine bedeutende Entwicklung in den Gebieten Monti, Orselina, Brè und generell auf dem Hügel rund um Locarno gewährleistet.
Die Prognosen verwirklichten sich auf wahrlich gelungene Weise. Die Tatsache, dass die Initiatoren während der Bauarbeiten an der Standseilbahn bereits darüber nachgedacht haben, sie bis zum San Bernardo und Monte Brè weiterzuführen, zeigt, dass es sich um Menschen mit Weitsicht und ohne Furcht handelte.
Ein Traum, der sich dank der zweiten Generation mit der 1952 erbauten Seilbahn erfüllte. Diese führt als Verlängerung der Standseilbahn innert Kürze von 200 auf 1‘400 Höhenmeter nach Cardada.
Der Bau der Linie, der gegen Ende 1904 begann, war in etwas mehr als einem Jahr abgeschlossen. Am 16. Februar 1906 konnten die Bundesdelegierten bereits die erste Testfahrt durchführen.
Parallel zu den Arbeiten der Linie gingen auch die technischen voran. Die „Cronaca Ticinese“ verfolgte den Fortschritt und die Neuheiten genaustens: Am 7. November 1905 kündigte sie die Ankunft der Wagen an.
Am 1. März 1906 nahm die Standseilbahn ihren Betrieb ohne Fahnenschwingen oder Ansprachen auf, wie die „Cronaca Ticinese“ anmerkte: „Die Standseilbahn begann ihren regulären Betrieb, ohne kein einziges kleines Einweihungsfest“. Was andeutete, dass wenigstens ein Prosit angebracht gewesen wäre.
Im ersten Jahr der Betriebstätigkeit der Standseilbahn, und zwar 1907, wurden 116‘529 Personen und 611 Hunde transportiert. Die Aktionäre erhielten eine Dividende von 2 Prozent. Zwei Jahre später stiegen die Fahrgäste auf 146‘999, die Dividende auf 3,5 Prozent und so ging es weiter, mit einem Anstieg, der lediglich während den beiden Kriegen vorübergehend unterbrochen wurde.
In den letzten zehn Jahren hat die Standseilbahn durchschnittlich 350‘000 Personen pro Jahr befördert.